Jungen
– Heldenspieler im Frauenland? Teil 2
Mehr Männer in die KiTa
Erstveröffentlichung in: klein & groß, Ausgabe 11/2008, Seite 40 ff.
© 2008 Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH
Ein Artikel von Peter Moser
Jungen
– so haben wir im ersten Teil dieser Serie festgestellt (klein&groß 10/2008) - brauchen für ihre ganzheitliche Entwicklung
Männer. Fehlen diese, orientieren sich Jungen an einseitigen, kulturell
vorherrschenden Männlichkeitsbildern, wie sie durch Medien und Konsum
vermittelt werden und wesentliche Teile des menschlichen Lebens als
„unmännlich“ abspalten.
Daher
brauchen Jungen nicht irgendwelche Männer, sondern möglichst
vielfältige und unterschiedliche Männer, welche für die verschiedensten
Aspekte des männlichen Lebens Vorbild sein können. Männer, die mit
Unsicherheit, Niederlagen, Hilflosigkeit genauso gut umgehen können wie
mit Kampf und Erfolg.
Aber
solche Männer gibt es noch zu selten. Viele Männer sind oft in
ähnlichen Rollenzwängen und geschlechtsspezifischen Rollenverhalten
gefangen wie die Jungen. Häufig beginnen Männer erst in
Krisensituationen und Umbrüchen, im Zusammenhang mit Vatersein oder mit
zunehmendem Alter innezuhalten und Änderungen herbeizuführen.
Männliche Erzieher
Männliche
Erzieher in der Kita sind immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Die
vereinzelten Männer gelangen (häufig mit Unterstützung der Frauen) in
eine Leitungsposition oder werden zum Experten für Abenteuer, Spaß und
Sport. Andere werden wie selbstverständlich für sämtliche
Hausmeistertätigkeiten eingesetzt.
Männliche
Erzieher müssen ihre Tätigkeit in ihr (männliches) Selbstbild
integrieren. Sie müssen aber auch zugleich beweisen, dass sie den
Anforderungen des Berufs gewachsen sind und trotzdem „richtige“ Männer
sind.
Männliche
Erzieher werden von den Kindern stark in Beschlag genommen. Die Jungen
suchen nach Möglichkeiten der männlichen Identifikation, den Mädchen
sind gegengeschlechtliche Bezugspersonen wichtig, um sich an ihnen als
Mädchen zu reiben und auszuprobieren. Gründe genug um Projekte zu
entwickeln, die eine berufliche Tätigkeit von Männern in KiTa`s fördern
oder über neue Zusammenarbeitsformen mit Männern nachzudenken.
Männersuche und männliche Lebenswelten
Im
Rahmen einer Fortbildung bat ich die Erzieherinnen darüber
nachzudenken, welche anderen Möglichkeiten es gäbe, das „ihre“ Jungen
mit konkreten Männern in Kontakt kommen. Ich bat sie darüber
nachzudenken, wo es Männer gibt und wie Kontakt zu diesen Männern
hergestellt werden kann.
Männer
gibt es z.B. als Handwerker, Hausmeister, Busfahrer, Bäcker, Förster,
Imker, Arzt, Pfarrer, bei der Feuerwehr, der Polizei, in Sportvereinen,
in anderen sozialen und Freizeiteinrichtungen, als Zivildienstleistende,
auf dem Bauernhof, in der Bücherei, im Theater, beim Tanz. Als Vater,
Großvater, Bruder, Onkel, als ehemalige Hortkinder, als von dem Kind
selbst oder von den Eltern gewählten Paten.
Männer
kann man auf der Arbeit besuchen, sie bitten eine Märchenstunde zu
gestalten, zu kochen, sie zu einem speziellen Väterabend in die Kita
einladen.
Mit
Männern kann man Arbeitseinsätze in der Kita planen und gestalten, ein
Indianerfest durchführen, auf Ferienfahrten gehen, sie besuchen, sich
von ihnen die Natur zeigen lassen und sie über ihr Leben befragen.
Entscheidend
ist, ob Männer überhaupt in den Blick und als Ansprechpartner
wahrgenommen werden. Dabei spielt es sicher eine Rolle welche Gefühle
und inneren Haltungen die Erzieherinnen gegenüber Männern mitbringen und
inwieweit sie bereit sind, diese zu reflektieren und möglicherweise zu
verändern. Dies gilt auch für die eigene inneren geschlechtsspezifischen
Zuschreibungen.
Erzieherinnen
und Leiterinnen von KiTas sollten sich auch bewusst sein, dass Männer
sich in den frauengeprägten Räumen der KiTa häufig nicht wohl fühlen.
Sie fühlen sich dort oft als Fremdling und Gast und agieren daher eher
zurückhaltend und vorsichtig. Zumeist werden sie sich ohne direkte
Ansprache durch die Mitarbeiterinnen von sich aus nicht aktiv am
Geschehen beteiligten.
Unabhängig
davon macht es Sinn darüber nachzudenken, wie das Setting der
Einrichtung wohl aussähe, wenn dort nur Männer arbeiten würden und
danach entsprechende Änderung vorzunehmen.
Beispielprojekte zur Förderung der Übernahme von Erziehungsverantwortung durch jugendliche und erwachsene Männer.
Im
Laufe der letzten Jahre haben ich und meine Kollegen des Vereins MANNE
e.V. - Potsdam verschiedene modellhafte Projekte zur Förderung von
männlicher beruflicher Tätigkeit in Kindertagesstätten entworfen und
erprobt. So vermittelten wir arbeitslose Handwerker für Praktika in
Kindertageseinrichtungen und begleitenden diese mit flankierenden
Qualifizierungsmaßnahmen und Coaching. (Projekt: „Mehr Männer in die
KiTa")
Im
Zuge eines anderen Projekts mit dem titel: „Der Buntbär“ unterstützten
wir mehrere Männer sich im pädagogisch-künstlerischen Berufsfeld
selbstständig zu machen. Sie bieten mobile Angebote für
Kindertagesstätten und andere Einrichtungen und haben einen eigenen
Internetauftritt. (www.derbuntbaer.de)
Im
Rahmen des Modellprojektes „It´s a man´s way” wurden für männliche
Schüler Schülerpraktika und / oder Schnuppermöglichkeiten in
geschlechtsuntypischen Berufsfeldern organisiert. (Altersheim, KiTa und
Nachbarschaftshaus mit Sozialküche) Während ihrer Praktika wurden die
männlichen Jugendlichen von männlichen Pädagogen betreut und begleitet
und unterstützen so die Integration des geschlechtsuntyischen
Berufsbildes in die innere Vorstellung von männlichen Lebens- und
Berufswelten der Jungen.
Im Rahmen der Phönixzeit (www.phoenixzeit.de)
müssen sich die teilnehmenden Jungen zur Unterstützung ihres Übergangs
vom Kind zum jugendlichen Mann, aus ihrem persönlichen Umfeld einen
männlichen Paten suchen. Diese werden dann von uns in der Begleitung der
Jungen und der Gestaltung von gemeinsamen Erlebniswelten unterstützt.
Väterarbeit
Eine
besondere Bedeutung erhält hier die Zusammenarbeit mit Vätern und
Großvätern. Die Zahl der Männer, die Verantwortung für die Erziehung und
Begleitung ihrer Kinder übernehmen wollen, wächst. Zugleich gibt es
noch viele Väter, die sich aus verschiedenen Gründen eher von der
aktiven Begleitung und Betreuung ihrer Kinder zurückziehen.
Männer,
die Erziehungsverantwortung übernehmen und diese als gleichwertig oder
wichtiger als ihre Erwerbstätigkeit werten, kommen leicht in Konflikt
mit den (männlich dominierten) Wertvorstellungen in der Arbeitswelt und
vorherrschenden männlichen Rollenbildern. Sie erhalten selten
Anerkennung von anderen Männern, wenig Verständnis von ihren
Vorgesetzten und müssen zugleich als „weiblich“ geltenden Aufgaben in
ihr eigenes Persönlichkeitskonzept integrieren. Hier hilft Ihnen Kontakt
und Zugehörigkeit zu gleich gesinnten Männern, die ähnliche
Entscheidungen getroffen haben. Männer und Väter, die in einem Umfeld
agieren, in dem es „unmännlich“ ist, liebevoll mit Kindern umzugehen und
diese in allen Bereichen zu betreuen, werden es schwer haben, ihr
Vatersein in ihr Männlichkeitskonzept zu integrieren.
Niedrigschwelligkeit und Gewinnperspektive
Um
eine Zusammenarbeit mit Vätern in der KiTa verstärkt zu erreichen,
bedarf es nach meiner Erfahrung eine eigene Ansprache und eigene
Angebote für Väter. Das bedeutet auch den Begriff der
Niedrigschwelligkeit auf Väter anzuwenden. Dazu gehören nicht nur
väterfreundliche Zeiten, sondern auch die Art und Weise, wie Väter
angesprochen werden. Väter reagieren vor allem auf Anfragen, die mit
Abenteuer und Aktion verbunden sind oder die bei ihren Stärken und
Fähigkeiten ansetzen. Auch ein geschlechtshomogenes Setting unterstützt
eine mögliche Zusammenarbeit. Im Kontakt mit anderen Vätern erkennt der
Mann, dass er mit seinen Fragen, Bedürfnissen Gefühlslagen und
Problemen nicht alleine dasteht. Er kann sich mit anderen Vätern
verbinden und sich an ihnen orientieren, während in
gemischtgeschlechtlichen Elternabenden viele Väter eher zurückhaltend
agieren oder die Aufgabe lieber gleich den Müttern überlassen.
Häufig
werden Väter mit dem Motiv angesprochen, aktiv zu werden, um z.B. die
Mutter zu entlasten oder den Kindern was Gutes zu tun. So richtig und
wichtig das ist, wird man Väter doch leichter für ein aktives Vatersein
und für die pädagogische Zusammenarbeit erreichen, wenn man sie auf
ihren eigenen möglichen Gewinn anspricht. Was hat ein Mann für sich
selbst davon, wenn er in die Erziehungsverantwortung geht. Der Gewinn
lässt sich am ehesten erkennen, wenn man Perspektiven jenseits von
unreflektiertem Rollenverhalten einnimmt, die näher an den persönlichen
Gefühlen und Bedürfnissen der Väter liegen. Sehr eindrucksvoll erreicht
dies eine Kampagne aus Nordrheinwestfalen in der Väter mit dem Satz:
„Verpass nicht die Rolle deines Lebens“ angesprochen werden. Auf einem
der sechs Plakat-Motive wird bspw. gesagt: „Welchen Mann ihre Tochter
später mal gut finden wird, können Sie jetzt mit beeinflussen“. Oder ein
anderes Beispiel: Auf einem Plakatmotiv sieht man einen Vater mit einem
Kleinkind die vereisten Muster auf einer zugefrorenen Fensterscheibe
betrachten. Darunter steht der Satz: „ Ohne dich hätte ich das nie
gesehen“.
Ein
wichtiger Fokus in der Arbeit mit Vätern ist es, sie darin zu
unterstützen, dass sie nicht als guter Vater „funktionieren“, sondern
dass sie es lernen, innerhalb ihrer Verantwortung als Vater, für sich
selbst zu sorgen, indem sie ihre eigenen Wünsche, Gefühle und
Bedürfnisse reflektieren und in die Beziehung zu den Kindern mit
einbringen. Nur ein Vater, der in der Lage ist, mit sich selbst
liebevoll umzugehen, kann auch ein guter Vater für seine Kinder sein.
Eine Falle hierbei ist der Leistungsanspruch, der sich mit den
vorherrschenden Bildern von Männlichkeit verbindet. Männer wollen gut
sein, auf der Arbeit, als Liebhaber und dann auch als Vater. Viele
Männer haben – oft unbewusst - an sich den Anspruch des „Supervaters“#,
anstatt sich zu erlauben, Grenzen zu akzeptieren oder nicht mehr weiter
zu wissen. Wenn das „Supervatersein“ dann nicht funktioniert, geben
manche auf, resignieren und ziehen sich zurück. Familienbildung mit
Vätern hat hier die Aufgabe, die Ansprüche ans Vatersein wieder auf ein
gesundes Maß von Normalität zu bringen sowie die Erlaubnis und die
nötige Unterstützung zu geben, sich als Vater Überforderungen oder
Hilflosigkeit einzugestehen und zu kommunizieren. In meinen Workshops
mit Vätern sammle ich hierzu gerne mit den Teilnehmern ihre
Vorstellungen vom „guten Vater“ und vergleiche diese mit ihren Gefühlen
dazu, wenn sie die gesammelten Anforderungen an sich selbst vor Augen
haben.
Perspektivenübernahme und Anerkennung
Der Perspektivenwechsel hin zum Vater gelingt selten.
Ein
Vater, der viel arbeiten geht und wenig zuhause ist, erhält eher
Vorwürfe und Hinweise, er möge sich doch mehr um seine Familie und
Kinder kümmern. Fragt man aber genauer nach, erfährt man, dass Väter in
die Erwerbsarbeit häufig nicht für sich und ihre eigene
Selbstverwirklichung gehen, sondern dies aus einem Pflichtgefühl heraus
tun. Sie fühlen sich verantwortlich für die materielle Grundlage der
Familie und arbeiten aus ihrem Verständnis ihrer Rolle in der Familie
für Frau und Kinder und nicht, weil es ihnen Spaß macht. Viele Väter
hätten gerne mehr Zeit für ihre Kinder (und auch für sich selbst), sehen
aber ihre Pflicht und Aufgabe in der Arbeitswelt.
Nimmt
man in der Beratung hier die Perspektive des Vaters ein und würdigt
sein Arbeiten und sein Verantwortungsgefühl für die materielle
Versorgung der Familie, öffnen sich oft bessere Zugänge zur Lebenswelt
des Vaters als über den Weg der Kritik und der Anmahnung seiner
Pflichten.
Ein
Beispiel: In einer Familie übernahm die Mutter gerne den Part der
großzügigen, liebevollen Mutter, was auch bedeutete, das sie Regeln
nicht so eng sah und viel Verständnis und Zustimmung für die oft
grenzenlosen Anliegen und Wünsche der Kinder hatte, während der Vater
das Setzen von Grenzen und die Rolle des Wächters zum Einhalten der
Regeln übernahm. Mit der Zeit wurde der Vater immer „strenger“, die
Mutter immer „liebevoller“.
Diese
Verhalten erhielten bei dem mit der Familie arbeitenden Familienhelfer,
unterschiedliche Bewertungen. Die Mutter fand für ihr Verständnis
gegenüber den Kindern viel Wertschätzung durch den Pädagogen, der Vater
galt als streng, rigide mit wenig Verständnis für die Anliegen der
Kinder. Daher wandten die Pädagogen sich bei Bedarf lieber an die Mutter
als an den Vater, dessen Erziehungsstil sie eher ablehnten.
In
der Perspektivenübernahme wurde der Vater für seine Bemühungen, Grenzen
zu setzen und Regeln einhalten zu wollen, wertgeschätzt. Der Vater war
erfreut, endlich mal für sein Tun gewürdigt zu werden und war dadurch
zum Gespräch und zur Zusammenarbeit bereit. In der Folge stellte sich
heraus, das der Väter sich in seiner Strenge gar nicht wohl fühlte. Er
wäre durchaus gerne lockerer gegenüber den Anliegen der Kinder, verkniff
sich aber seine diesbezüglichen Gefühle und Wünsche, weil er seine
Strenge als notwendiges Korrektiv zur Nachgiebigkeit der Mutter empfand.
In
einer gelingenden Väterarbeit gilt es, die Perspektive des Vaters
einzunehmen, seinen guten Willen anzuerkennen und aus dieser Haltung
nach Ressourcen und Chancen für eine bessere Gestaltung des Vaterseins
zu forschen.
Ich
persönlich habe das Glück in einem sozialen Umfeld zu leben, in welchem
viele „anwesende“ verantwortungsbewusste Väter agieren und kann dadurch
seit mehr als 20 Jahren die Wirkung von „aktiver Vaterschaft“ auf die
Söhne (und die Töchter) beobachten. So kenne ich beispielsweise viele
männliche Jugendliche, die gerne und mit Lust Jobs als Kinderbetreuer
übernehmen und dafür Anerkennung durch Männer erhalten, während in
anderen sozialen Räumen Erwachsene wie Jugendliche gar nicht erst auf
die Idee kommen, dass auch Jungen solche Aufgaben übernehmen und gut
machen könnten. Doch bis auch für Kita und Hort genügend Männer zur
Verfügung stehen, wird vermutlich noch einige Zeit vergehen. Umso
wichtiger und lobenswerter ist es, wenn sich Erziehrinnen mit der
Situation von Jungen auseinandersetzen und geschlechtsbewusste
pädagogische Konzepte entwickeln.
Peter Moser, Jg. 1965, Vater dreier Kinder, Diplom-Sozialpädagoge, lebt in Potsdam und ist Gründer und Mitarbeiter des Manne e. V. – Potsdam.
Kontakt
www.mannepotsdam.de
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