Jetzt kommen die Männer
Erstveröffentlichung in: klein & groß, Ausgabe 7-8/1999 © 1999 Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH
Ein Artikel von Peter Blase-Geiger Seit
einigen Jahren arbeiten Männer in Kindertagesstätten. Neben vielen
unbestreitbar positiven Aspekten gibt es auch eine Reihe problematischer
Entwicklungen. Ein Erfahrungsbericht. Wir haben einen Mann.
Diesen Satz hören wir des Öfteren unter Erzieherinnen - zumeist mit
einer gehörigen Portion Stolz im Unterton. Männer in
Kindertageseinrichtungen also. Noch vor wenigen Jahren eine zumindest in
Kindergärten etwas exotische Vorstellung. Männer, wenn sie denn
Erzieher wurden, strebten Arbeit in Horten und Heimen an. Die meisten
pädagogisch Interessierten studierten aber lieber gleich
Sozialpädagogik. Inzwischen hat sich da einiges geändert: Männer haben
sich darangemacht, die Kindergärten aufzumischen. Die Kinder sollen
fortan auch ein männliches Vorbild haben - Rollenklischees gilt es
aufzubrechen. Wie also ist die derzeitige Situation? Was hat sich durch unsere
Männer in den Kindertagesstätten verändert? Welche Strukturen haben
sich entwickelt? Und: Sind Männer am Ende die besseren "Erzieherinnen"?
Aller Anfang ist schwerVor
ungefähr zwölf Jahren machte ich mich auf den Weg, Erzieherin zu
werden. Ja, Erzieherin. Wenn Frauen in Betrieben Maschinenschlosser
werden, dann werden Männer im sozialpädagogischen Bereich eben
Erzieherinnen. Es gab in meinem Jahrgang sogar noch zwei weitere Männer,
die diesen Beruf anstrebten. Beruf? Ist Erzieherin überhaupt ein Beruf
für einen Mann? Vor allen Dingen scheinen Kinder und ältere Menschen da
so ihre Zweifel zu haben. Die Frage der Kinder, ob ich eigentlich nichts
arbeite, am Ende gar arbeitslos sei, begleitet mich bis heute. Auch
gibt es stets ein großes Hallo, wenn ich den Kindern weismachen will,
dass ich erstens gar nicht im Kindergarten wohne und zweitens auch nicht
mit allen Erzieherinnen gleichzeitig verheiratet bin. Den Kindern sei
verziehen. Sie lassen sich in der Regel von weiblichen Erzieherinnen, in
meiner Verzweiflung zu Hilfe geholt, von der Richtigkeit meiner
Aussagen überzeugen. Doch zeigen diese Reaktionen, wie ausgeprägt das
Rollenverständnis schon bei den Kleinsten ist. Alle Männer sind ichbezogene Kinder (Christa Wolf) Aber
auch manche älteren Menschen haben so ihre Zweifel, ob ein Mann im
Kindergarten (Hort und Heim mögen ja noch angehen - der härteren Hand
wegen) am rechten Ort ist. Verdächtig ist das Ganze allemal. Ob er das
mit den Kindern kann? Füttern? Und wenn eines in die Hose macht? Und was
treibt diesen Menschen überhaupt in diesen Beruf? Gut, ich will nicht
übertreiben. Das Bild hat sich mittlerweile geändert. Menschen gewöhnen
sich. Wenn die männliche Erzieherin dann auch ihre ersten Wochen hinter
sich hat, ist sie zumeist bei Eltern wie Kindern akzeptiert. Die Mädchen
beginnen, sich für ihren Mann hübsch zu kleiden, Jungens haben endlich
jemanden zum Hämmern und Fußballspielen. Das hatten sie vorher
allerdings auch, doch war es kein Mann, und diese Tatsache allein ist
letztlich ausschlaggebend, nicht die Qualität des Werkens oder des
Spielens. Kommt
ein Mann neu in die KiTa, ist also erst einmal so einiges los. Ängste
von Eltern, mitunter auch Ängste von Erzieherinnen sowie gnadenlose
Begeisterung bei den Kindern. Der Mann steht zunächst total im
Mittelpunkt, und das ist für die Positionsbestimmung nicht gerade
leicht. Gut, dass alle Beteiligten schnell lernen, dass auch Männer nur
Menschen sind. Oft stellen sie sich in handwerklichen Dingen auch nicht
gerade geschickter als die Erzieherinnen an, womit dann allerdings die
weit verbreitete Hoffnung auf den vermeintlichen Hausmeister baden geht.
Nach einigen Wochen hat sich die Situation geklärt.
Als Mann unter FrauenEinen
Mann dabei zu haben, fördere gute Teamstrukturen. Er gleiche
gruppendynamische Prozesse positiv aus und mache die Sache insgesamt
interessanter. Außerdem bringe er Schwung in jeden Laden und verhindere
den unter Frauen typischen Tratsch. Ferner sei männliche Sachlichkeit
sehr von Vorteil. Sicherlich,
ich habe die Hoffnungen, die an einen Mann gestellt werden, herzlich
übertrieben. Doch nicht selten werden solche oder ähnliche Auswirkungen
mit der Einstellung eines Mannes verbunden. Da ein Mann aber eben kein
Wunderheiler ist, sondern ein ganz normaler Mensch (einverstanden: durch
das Erlernen des Berufs der Erzieherin vielleicht nicht mehr ganz
normal), sind diese Hoffnungen verfehlt. Zweierlei Dinge zeigen sich
hier höchst problematisch. Männer brauchen Frauen um sich, sonst verfallen sie unaufhaltsam der Barbarei (Orson Welles) Zum
Einen implizieren oben angedeutete Hoffnungen ein sehr seltsames und
armseliges Frauenbild. Es wird unterstellt, dass ein Team, das allein
aus Frauen besteht, nicht gut funktionieren kann. Allein dass es aus
Frauen besteht, ist in diesen Fällen für die Meinungsbildung
ausschlaggebend. Nicht selten wird aber auch von dem betreffenden Team
selbst diese Ansicht vertreten. Zum Anderen muss der Mann den
Erwartungsdruck aushalten und bewältigen können. Er soll es also
richten. Nicht weil er kompetent ist, sondern ausschließlich seines
Geschlechts wegen. Zudem hat er mit seiner Rolle als zumeist einziger
Mann unter Frauen zu kämpfen. Das legt sich zwar nach einer Weile - doch
zunächst einmal ist das eine seltsame Situation. Wenn nicht schon nach
der Ausbildung, so doch spätestens nach wenigen Jahren hat man (Prima:
In diesem Zusammenhang darf ich dieses Wörtchen man
wohl wieder benutzen) sich daran gewöhnt. Bei mir hat sich im Laufe der
Jahre der Gewöhnungseffekt gar umgekehrt. Bin ich auf Gewerkschaft-
oder diversen anderen Sitzungen, in denen sich eben vorwiegend Männer
tummeln, so fühle ich mich oft unbehaglich und fremd.
Der AlltagHaben
sich alle Beteiligten erst einmal aneinander gewöhnt, läuft der Alltag
eigentlich (und vielleicht leider) wieder ziemlich gewöhnlich ab. Der
Mann ist Mensch geworden und wird ganz normal nach Fähigkeiten und
menschlichen Qualitäten zwischen die Erzieherinnen sortiert. Das
Ungewöhnliche wird gewöhnlich, und so mancher männlicher Erzieher muss
sich sehr anstrengen, um mit seinen weiblichen Mitarbeiterinnen
mithalten zu können. Nicht selten hinken Männer gerade in musischen und
(ja, es muss wohl auch gesagt werden!) hauswirtschaftlichen Fähigkeiten
hinterher, ohne dies entsprechend in anderen Bereichen ausgleichen zu
können: Denn zumeist werden geborene Handwerker eben leider Handwerker
und nicht Erzieherin. Was
aber ist denn nun mit den entscheidenden Vorteilen durch den Mann in
der Einrichtung? Orientieren sich nicht gerade die Kinder, die ohne
Vater aufwachsen, an ihm? Ja sicher, sie tun es. Und hier gibt es den
Gewöhnungseffekt nicht. So manches Kind genießt den männlichen
Ansprechpartner. Gerade bei Ganztagskindern kann dies bis zum
Vaterersatz ausarten, was dann besonders problematisch werden kann, wenn
es sich bei diesem Mann um einen Jahrespraktikanten handelt. Die Kinder
fallen fast zwangsläufig nach Beendigung des Praktikums in ein Loch.
Als wie tief sich dieses erweist, hat viel mit der Geschicklichkeit des
betreffenden Praktikanten sowie des gesamten Teams zu tun. Natürlich ist
in der Regel eine männliche Erzieherin als Bezugsperson eine sinnvolle
Sache, doch hat alles eben auch zwei Seiten. Und die zweite Seite ist in
diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen. Ob
es unter männlichen Erzieherinnen denn auch ein typisch männliches
Verhalten gibt, bedürfte einer empirischen Untersuchung. Aus meinen
Erfahrungen heraus kann ich nicht unbedingt bestätigen, dass wir Männer
den ganzen Tag mit den Kindern an der Werkbank stehen, den Fußballplatz
an den Rande der Unbespielbarkeit zwingen oder die tollsten Sandburgen
Europas bauen. Es wird wohl schon so sein, dass typische Männer nicht
Erzieher werden. Umkehrschluss: Also können wir auch kein typisch
männliches Verhalten erwarten. Doch
Aktivitäten, die als typisch männlich eingestuft werden, müssen ja
beileibe nicht nur von Männern angeboten werden. All das, was ich oben
anführte, können Frauen auch. Warum sie es häufig nicht tun, bleibt ihr
Geheimnis. Aber auch nicht alle Männer fühlen sich beim Fußballspiel
oder an der Werkbank zu Hause. Und auch nicht alle, die sich dabei zu
Hause fühlen, tun es. Denn auch unter Männern gibt es faule, bequeme,
müde, ausgelaugte und unfähige Exemplare. Für oben genannte Aktivitäten
braucht die KiTa jedenfalls keinen Mann.
Das Vertrauen in MännerKommen
wir zum größten und problematischsten Unterschied zwischen Mann und
Frau im Erzieherinnenberuf. Ist es so, dass Frauen in typischen
Männerberufen doppelt so gut sein müssen wie die potentiellen
Bartträger, so genügt uns männlichen Erzieherinnen oftmals die Hälfte
der Kompetenz und des Engagements. Dies liegt daran, dass Männern von
vornherein mehr zugetraut wird als Frauen. Außerdem haben sie eine
Exotenrolle inne, so dass sie gerne stets bevorzugt ausgewählt werden.
So haben Männer beispielsweise bei der Belegung von Fortbildungen stets
Zusagen im Briefkasten, während Frauen oft Jahre auf positive
Bestätigungen für begehrte Kurse warten müssen. Einen Mann dabei zu
haben gilt eben als spannend und ausgleichend. Auch
in der Öffentlichkeitsarbeit haben es weibliche Erzieherinnen erheblich
schwerer, denn Kindergartentanten nimmt niemand so recht ernst -
scheint es sich doch häufig um ein erweitertes Hausfrauendasein zu
handeln. So ist es zumeist extrem schwierig, von wichtigen Gremien (sei
es beispielsweise das Jugendamt oder die Kommunal- oder Kirchengemeinde)
ernst genommen wird und sich eine angemessene Stellung zu erarbeiten.
Anders bei Männern: Ihr Anliegen wird von vornherein ernst genommen und
eine entsprechende Kompetenz unterstellt. Oftmals ist zu beobachten,
dass die kompetente Leiterin sich in Diskussionen erheblich abmüht, ohne
jedoch auch nur ein Stückchen weiterzukommen. Meldet sich sodann die
männliche Mitarbeiterin zu Wort und unterstützt das Anliegen, wie
holperig und ungeschickt ist offenbar egal, wird die Angelegenheit
plötzlich ernsthaft diskutiert. Selbstverständlich steigert dies das
männliche Selbstbewusstsein sehr. Umgekehrt muss frau schon eine extrem
hohe Frustrationstoleranz beisitzen. Zudem führt es häufig dazu, dass
sich Frauen im Erzieherinnenberuf in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen
erheblich unterschätzen. Dies
alles, mangelndes Selbstvertrauen einerseits und gesteigerte
Selbsteinschätzung andererseits, das Vertrauen weiter Teile unserer
Gesellschaft in den Mann einerseits und das maßlose Unterschätzen
weiblicher Qualitäten andererseits, führt zu einer weiteren, sehr
problematischen Entwicklung, die bislang wenig diskutiert wird: Männer,
insbesondere in Kindertagesstätten, gelangen oftmals schon nach kurzer
Tätigkeit in die Leitungsposition. Und dies hat nicht nur etwas damit zu
tun, dass sie besser mit dem Ellenbogen umgehen können als Frauen. Es
wird ihnen einfach zugetraut, und sie trauen es sich selber auch zu. Das
Selbstvertrauen spielt da eine zentrale Rolle. Und dies nährt sich eben
aus dem Vertrauen, das die nähere Umgebung zu geben bereit ist. Und
eine ganz entscheidende Rolle spielen in diesem Zusammenhang die
weiblichen Erzieherinnen. Ich
glaube nicht, dass Männer von Natur aus aggressiv sind. Was sie
aggressiv werden lässt, ist Macht, zuviel Macht. Diese Macht
korrumpiert, nicht das Geschlecht (Alice Schwarzer) Bei
mir selbst, und diese Episode erzähle ich, weil sie ganz und gar
typisch ist, war es folgendermaßen: Die Leiterin musste unerwartet ihren
Arbeitsplatz aufgeben. Das Team war sehr homogen und wollte keine neue
Leitung von außen. In der viergruppigen Einrichtung gab es eine Handvoll
(wenn nicht mehr) kompetente Erzieherinnen, welche die Leitung hätten
übernehmen können. Niemand war bereit, und alle Blicke richteten sich
auf mich - eine männliche Erzieherin, die gerade mal ein Jahr
Berufserfahrung hatte und an Kompetenz und Erfahrung weit hinter den
meisten Kolleginnen zurücklag. So bin ich männliche Leiterin geworden.
Ich habe Fortbildungen belegt und wurde im Nachhinein kompetent. Das
Vertrauen von Seiten des Trägers war da, und auch die Bezirksregierung
störte sich nicht an meiner mangelnden Berufserfahrung. Bei einer
weiblichen Person wäre das sicherlich anders gewesen. Vielleicht, wenn
es auch banal ist, müsste noch hinzugefügt werden, dass die Fähigkeit,
Kinder zu bekommen, bei der Erlangung von Führungspositionen natürlich
auch hinderlich ist.
Das ResümeeMännliche
Erzieherinnen kommen langsam, aber gewaltig. So wie es aussieht,
erfüllen sie, aber eben auch ihre weiblichen Kolleginnen, binnen kurzer
Zeit sämtliche Rollenklischees und erobern einmal mehr ehemals klassisch
weibliche Führungspositionen. Haben wir uns das ursprünglich nicht
alles etwas anders vorgestellt?
AutorPeter
Blase-Geiger, Jahrgang 1964, ist im nordpfälzischen Weitersweiler zu
Hause. Er leitet über zehn Jahre die offene
Albert-Schweitzer-Kindertagesstätte in Göllheim und betreibt zusammen
mit Frau und Kind das Kindertheater Grabschn Babschn. Seit Anfang 2001 arbeitet er als Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz.
AdressePeter Blase-Geiger GEW-Rheinland-Pfalz Neubrunnenstraße 8 55116 Mainz Tel.: 06131/28988-14 Fax: 06131/28988-80 Email: Peter.Blase-Geiger@GEW-Rheinland-Pfalz.de Website: http://www.gew-rheinland-pfalz.de
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