Ein Mann fürs Kind
Aus: GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz
6/00, Seite 21-23
Die Mitarbeit von Männern
in den sozialpädagogischen Einrichtungen wird im allgemeinen positiv
bewertet. Doch gibt es auch nachdenklich machende Aspekte. Der Erfahrungsbericht
eines Mannes.
Ein Artikel von Peter Blase-Geiger
Wenn Kelly nur noch ihre schönsten
Kleider tragen will, wenn Özdem plötzlich zum begeisterten Handwerker
wird, wenn Juli, Claudia und Rudi wie aufgedreht dem nächsten Kindergartentag
entgegenfiebern und wenn die Kinder der Einrichtung insgesamt wie euphorisch
wirken, dann könnte eines passiert sein: Ein Mann hat seine Arbeit
im Kindergarten aufgenommen.
Mann hält Einzug
Dass ein Mann in der Kindertagesstätte
eine gute Sache ist, gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten des
Metiers. Was ist aber denn nun wirklich dran an der Sache mit dem männlichen
Geschlecht? Zum Einen etabliert sich die Theorie, dass sich Jungen stärker
mit dem eigenen Geschlecht identifizieren als Mädchen1.
Das würde bedeuten, dass eine männliche Bezugsperson in der Kindertagesstätte
insbesondere bei Jungen von besonderem Vorteil für Identitätsentwicklung
und Rollenfindung wäre. Die Praxis scheint dies zu bestätigen. Begeistert
stürzen sich die Jungen auf jede vom Mann angebotene Aktivität (und
zu seinem Leidwesen mitunter auch auf den Mann selber). Und ich meine
nicht nur die spezifisch männlich angehauchten Projekte wie Fußball
spielen, an der Werkbank arbeiten oder Ähnliches. Nein, auch kochen,
vorlesen und andere ganz alltägliche Dinge sind offenbar mit Mann
interessanter. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Fußball spielen
mit weiblichen Bezugspersonen nur halb soviel Spaß macht. Dies ist
insbesondere in Kindertagesstätten zu beobachten, in denen sich die
Erzieherinnen auf den Weg gemacht haben, die Sache selbst in die Hand
zu nehmen, und nicht erst auf einen männlichen Kollegen warten: Werkbänke,
Fußballtore, Fahrradwerkstatt und Ähnliches haben vielerorts Einzug
in den Kindergartenalltag gefunden. Aber offenbar gibt es für die Kinder
diesbezüglich noch einen gewichtigen Unterschied. Denn nicht die spezifische
Aktivität scheint im Vordergrund zu stehen, sondern tatsächlich das
Geschlecht der Bezugsperson.
Es geht also in erster Linie
nicht darum, dass mit dem männlichen Erzieher auch typisch männliche
Eigenschaften und Aktivitäten in die Kindertagesstätte Einzug erhalten.
Dies können Erzieherinnen nämlich genauso leisten. Sie haben es nicht
nötig, deswegen auf einen Mann zu hoffen oder zu warten. Im Gegenteil:
Nicht selten ist festzustellen, dass auch so mancher männliche Erzieher
(Gott sei Dank!) nicht gerade der Held der Werkbank ist, den
Fußball auch nicht immer trifft und als verhoffter Hausmeister nicht
zu gebrauchen ist.
Jungen sind anders...
Mädchen sind doof. Und
zwar grundsätzlich. Diese These vertreten Jungen spätestens im
fortgeschrittenen Kindergartenalter. Gruppenprozesse laufen stets gleich
ab. Besonders gut lässt sich dies in größeren offenen Kindertagesstätten
beobachten, da hier Cliquenbildungen ermöglicht werden. Während Dreijährige
verschiedenen Geschlechts einträchtig miteinander spielen, findet dies
wenig später oftmals ein jähes Ende. Jungen entdecken ihr eigenes
Geschlecht und grenzen sich von den Mädchen ab. Es entstehen reine
Jungencliquen. Die amerikanischen Psychologinnen Eleanor Maccoby und
Carol Jacklin bestreiten gar den eindeutigen Zusammenhang zwischen Erziehungsstil
der Eltern und dem geschlechtsspezifischen Spiel der Kinder2.
Es sei denkbar, dass Eltern vielmehr auf angeborene unterschiedliche
Wesensmerkmale reagieren, als dass sie diese prägten. Beobachtungen
in den Kindertagesstätten bestätigen diese Einschätzung. Trotzdem,
und vielleicht gerade auch deswegen, sind die Pädagogen natürlich
aufgefordert, bedenklichen Entwicklungen entgegenzuwirken und positive
Verhaltensmuster mit den Kindern zu entwickeln. Und doch, so scheint
mir, kommt der Erzieherin nach Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse
zusehends die Rolle der Begleiterin zu, die die Kinder in ihrem Werden
unterstützt.
Was macht denn unsere Jungenclique
nun so den ganzen Tag? Nun, sie spielt mit He-Männern, kämpft, tobt,
zeigt sich oftmals aggressiv, die Kinder sind Entdecker und Forscher
und erfüllen somit alle gängigen Rollenklischees. Sie finden eben
ihre männliche Rolle. Die Erzieherin und im günstigsten Fall eben
auch der Erzieher unterstützt diese begleitend. Es macht nämlich überhaupt
keinen Sinn, diese kindlichen Bedürfnisse zu unterdrücken oder zu
verbieten. Im Gegenteil: Wir haben die Möglichkeit, diese Prozesse
zu lenken und zu beeinflussen. Schon mal einen He-Man ins Bett gebracht.
Nein? Dann wird es aber Zeit. Für den morgigen Kampf muss er nämlich
ausgeschlafen sein. Vorher Essen kochen? In Ordnung.
Aus diesem Zusammenhang werden nun die Chancen der männlichen Bezugsperson
deutlich. Wo bleibt das Gegengewicht? Wie kann ich diese Clique (bei
uns ist es derzeit die Flur-Gang) steuern? Während Frauen bei
alternativen Angeboten, nehmen wir einmal das Kochen, oft auf verlorenem
Posten stehen (der Verhaltenskodex der Gruppe läßt das oft nicht zu),
hat ein Mann schlicht die besseren Karten. Wenn er mit Jungen kocht,
dann gilt dies somit als keine rein weibliche Aktivität mehr und es
darf getrost teilgenommen werden. Hier liegen also die waren Möglichkeiten
eines Mannes in der Einrichtung: Früher als typisch weiblich angesehene
Aktivitäten verlieren dieses Image. Voraussetzung dafür ist allerdings,
dass das Team diese Sichtweise teilt und der Mann diese Dinge auch in
Angriff nimmt. Fußball spielen und auf der Werkbank rumhämmern (ich
glaube, ich erwähnte es bereits) können wir, aus dem gleichen Begründungszusammenhang,
getrost den Frauen überlassen.
...Mädchen auch
Wir haben festgestellt, dass
Mädchen nicht ganz so rollenfixiert sind wie ihre männlichen Gegenstücke.
Natürlich finden auch Mädchen alle Jungen grundsätzlich doof. Doch
gibt es da schon häufiger mal eine Ausnahme. Jungen sind in Mädchencliquen
so gut wie gar nicht anzutreffen. Umgekehrt lassen sich aber des öfteren
Mädchen in Jungencliquen beobachten. Die Ursache für das Urteil
Jungen sind doof liegt offensichtlich darin, dass sich zuvor die
Jungen abgrenzten und die Mädchen spüren ließen, dass sie, die Jungen,
mit ihnen, den Mädchen, künftig nichts mehr zu tun haben wollen.
Jungen sind doof ist also eine unmittelbare Reaktion auf das
Mädchen sind doof.
Mädchencliquen zeichnen sich
aber auch durch typisch weibliche Verhaltensweisen aus. Die Kinder gehen
Konflikten aus dem Weg, sie suchen sich ruhige Nischen und Plätze,
sie haben ein ausgezeichnetes Sozialgefüge, die Schwächere wird umhegt
und gepflegt, sie toben weniger und interessieren sich eher für Gesellschafts-
und Rollenspiele. Sie lernen voneinander in der Clique derart viel,
dass sie im sozialen Verhalten sowie im kognitiven Bereich den Jungen
schnell überlegen sind.3
Für Mädchen ist ein Mann
in der Einrichtung zunächst einmal eine Attraktion. Oftmals hüllen
sich die kleinen Damen in den ersten Tagen in ihre schönsten Kleider
und zeigen sich recht verliebt. Jedem Mann, wie geschmeichelt er auch
ist, sei in dieser Situation geraten, den nötigen Abstand zu wahren.
In unserer Einrichtung ist nach dem Weggang eines Kurzzeitpraktikanten
tatsächlich zu intensivem Liebeskummer gekommen. Das betroffene Mädchen
litt sehr lange. In der Regel aber ist ein Mann erst einmal willkommen,
da er zumeist andere Ideen und Fähigkeiten mitbringt, als seine Kolleginnen.
Nach mehreren Monaten normalisiert sich die Situation für die meisten
Mädchen wieder. Der Mann wird gedanklich ins lebende Inventar der Einrichtung
eingeordnet und der Alltag verläuft fortan in seinen normalen Bahnen.
Dass Männer Mädchen besser
zu typisch männlichen Aktivitäten motivieren können, kann ich aus
der Praxis nicht bestätigen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Mädchen
fühlen sich in ihren rollenspezifischen Problemen wohl häufig von
Frauen besser verstanden. Auch sollte der emanzipatorische Ansatz, Mädchen
möglichst früh mit typisch männlichen Aktivitäten und Fähigkeiten
auszustatten, damit sie später gleiche Chancen haben, sehr kritisch
überdacht werden. Meines Erachtens ist es keinesfalls nötig, aus Frauen
die besseren Männer zu machen. Vielmehr sollten die positiven typischen
Eigenschaften der Frauen unter uns Männer gebracht werden. Ich glaube
selbstverständlich daran, dass sich aus Frauen beinharte Managerinnen
mit Ellenbogen machen lassen – vielleicht sogar härtere, als wir
Männer sie bislang hervorbrachten. Doch was damit gewonnen sein soll,
weiß ich nicht. Ich halte es da eher mit Alice Schwarzers Aussage4,
dass ein Zuviel an Macht korrumpiert und aggressiv macht. Dass Frauen
dies in der Regel nicht sind, macht Mut. Frauen sollten nun aber besser
nicht lernen, korrupt und aggressiv zu werden, und wir Männer bitte
schön danach streben, ohne diese Eigenschaften und ohne unangemessenes
Machtstreben auszukommen.
Vaterersatz?
Bedeutung gewinnt der Mann
in der Einrichtung für Kinder, die ohne Vater aufwachsen. Ich vermeide
hier bewusst das Wort müssen. Es gibt in unserer Gesellschaft
eine stetig steigende Zahl Alleinerziehender. Und das sind durchaus
nicht immer Frauen. Dies als negative Entwicklung zu sehen, lehne
ich ab. Kinder Alleinerziehender haben es oft wesentlich besser als
Kinder aus zerrütteten und möglicherweise gewalttätigen Ehen. Auch
das Tabu in Bezug auf homosexuelle Erziehende löst sich ganz allmählich
auf. Es gibt immer mehr gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder aufziehen
oder aufziehen wollen. Die Gesetze hinken hier noch der gesellschaftlichen
Entwicklung hinterher, doch scheint es nur noch eine Frage der Zeit,
bis die rot-grüne Regierung entsprechend handelt. Justizministerin
Herta Däubler-Gmelin hat Entsprechendes bereits angekündigt5.
Es gibt also etliche Kinder,
die aus den verschiedensten Gründen ohne Vater aufwachsen. Auf diese
gesellschaftliche Entwicklung haben die Kindertagesstätten natürlich
zu reagieren. Und hier liegt die eigentliche und wirkliche Chance der
Männer im Erzieherberuf. Es Bedarf gar keiner großen pädagogischen
Verrenkungen. Der Mann wirkt durch pure Präsenz. Es ist in diesem Zusammenhang
völlig egal, welche Aktivitäten der Erzieher anbieten. Dass er es
tut und die Zeit und Zuneigung, die er gibt, sind entscheidend.
Kinder, die männliche Bezugspersonen
als gewalttätig erlebt haben, brauchen viel Zeit, um wiederum einem
Mann Vertrauen entgegenbringen zu können. Einzelfälle? Leider nein.
Es gibt erheblich mehr gewalttätige Männer als Bezugspersonen unserer
Kinder, als gemeinhin geglaubt wird. Wir können getrost davon ausgehen,
dass in jeder Kindertagesstätte, selbst in den eingruppigen, mehrere
Kinder sind, die unter derartigen Umständen leiden oder gelitten haben.
Die Chancen für die männlichen Erzieher liegen auf der Hand: Der sehr
negativen Erfahrung können sie im günstigsten Fall nun eine positive
Entgegensetzen.
Bei alledem darf aber insbesondere
eines nicht geschehen: Der Erzieher darf nicht zum Vaterersatz werden.
Hier gilt es, sich rechtzeitig und bestimmt abzugrenzen. Ist das Verhältnis
zu intensiv, so wird der zwangsläufige Abschied zur allzu starken Verletzung.
Die trügerische Vorstellung, einen neuen Vater gefunden zu haben, muss
schließlich aufgegeben werden. Der Verlust dieser Vorstellung kann
im Einzelfall derart schmerzhaft sein, dass es zu psychischen Störungen
oder Krankheiten kommt6.
Die Bewusstmachung all dieser
Zusammenhänge ist für männliche Erzieher besonders wichtig. Mancher
Praktikant, ich habe es oben schon erwähnt, ist mit seiner Rolle zunächst
überfordert. Hier bedarf es der Thematisierung durch die Schulen und
durch die Teams der jeweiligen Einrichtungen. Die Haltung Mal gucken,
was passiert kann mitunter fatale Folgen haben, da Zusammenhänge
nicht erkannt werden und somit bedenklichen Tendenzen nicht rechtzeitig
begegnet werden kann.
Perspektiven
Männer in sozialpädagogischen
Einrichtungen werden dringend gebraucht. Und dies nicht nur in Heimen
und Horten, sondern auch in Kindergärten. Leider hat es in diesen Bereich
bislang nur wenig Männer verschlagen. Zudem ist zu beobachten, dass
Männer nicht lange im Gruppendienst bleiben. Dies hat verschiedene
Gründe, die nicht nur im Mann selbst liegen und deren Erörterung einen
eigenen Artikel füllen würde. Es ist schlicht und ergreifend so: Männer
streben in die Führungspositionen der Kindergärten. Die Kolleginnen
trauen es ihnen zu, die Träger trauen es ihnen zu, sie selber trauen
es sich auch zu, und so werden sie nach einigen wenigen Berufsjahren
oftmals schon Kindergartenleiter. Damit rücken sie unser gesellschaftliches
Bild vom Mann, nachdem sie es durch ihre Arbeit in einem Kindergarten
gehörig durcheinandergerüttelt hatten, wieder zurecht. Der Mann leitet
die Einrichtung, und die Damen machen den Gruppendienst. Das ist derart
banal normal, dass es niemandem so recht auffallen will, dass dies unseren
eigentlichen Zielen, die wir mit dem Mann im Kindergarten verbunden
hatten, entgegenwirkt.
Peter Blase-Geiger,
Jg. 1964, ist im nordpfälzischen Weitersweiler zu Hause. Er leitete
über zehn Jahre die offene Albert-Schweitzer-Kindertagesstätte in
Göllheim und betreibt zusammen mit Frau und Kind das Kindertheater
Grabschn Babschn. Seit Anfang 2001 arbeitet er als Gewerkschaftssekretär
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Kontakt:
GEW-Rheinland-Pfalz
Neubrunnenstraße 8
55116 Mainz
Tel.: 0 61 31 / 2 89 88 –
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e-mail: Peter.Blase-Geiger@GEW-Rheinland-Pfalz.de
Im Netz: www.gew-rheinland-pfalz.de
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